"Katholiken zahlten doppelte Gebühr!"
Ich selbst hab' ja nicht viel erlebt - aber es gibt
seltsame Tage!: Daran mußte ich mal wieder denken, als ich mit meinem
Blechfloß auf der B3 von Celle kommend die Autobahn Hannover - Hamburg
kreuzte, dort wo der große Trucker-Stop ist, kenn'Sie sicher. Da waren
sie wieder, die Fernfaher, alle mitten im heftigen Erleben! Kurz danach
kommt ja dann am Stadtrand von Soltau die Abzweigung nach Tetendorf, wo
das Schäferkreuz steht - "Hier ward ein Hirt von seiner Herd'
erschlagen...." - und rührend das kleine dreieckige Stückchen Haide.
Schön zu sehen, daß auch heute noch scharf darauf geachtet wird, dieses
Kreuz zu erhalten - mit Flüchen ist nicht zu spaßen! Nebenan gleich der
McDonalds, daran erinnern Sie sich doch, aber die Symbolik paßt in
unsere Zeit.
Von Soltau aus weiter auf der B3, auf deren zerbröckelnder Fahrbahn der
Radfahrer aus "Schwarze Spiegel" mit hüpfendem Anhänger nach Hamburg
strampelte, wär'Ich nach Welle gekommen - "Das Dorf Welle brannte" -
und kurz darauf zum "Trelder Berg", wo die B75 (Bremen - Rotenburg -
Scheeßel - Tostedt - Hamburg) die B3 kreuzt: "Und Beobachter waren auch
keine mehr da: so zog ich gar die Shorts noch aus, und ließ mich ein
Stündchen braten: Mitten auf der Kreuzung......(Und Sonnenbrand auf
allen pikanten Stellen!)."
Trelde, Kakenstorf, Todtglüsingen - "Tod holt alle Menschen": Auf dem
Weg nach Dithmarschen könnten Arno Schmidt und Wilhelm Michels in den
Jahren 1964 und 1969 mibbm "Oppel Kappi Tähn" (wieso fällt mir hier
"Täve Schur" ein? - Komisch!) hier auch durchgekommen sein (die Damen
waren wohl dabei) - Arno Schmidt natürlich auf'm "Todessitz": "Nanu - -
Menschnskint; schlafm Se mir bloß nich ein hier in mei'm Wagn"; meinte
aber eindeutig den BRUDER des Schlafes...... Er harrte geduldig, daß
ich zu berichten anfinge. Half mir auch zwischendurch mit nach vorn;
neben sich; auf den "Todessitz"; (nu wenn schonn: bei einem anständigen
Menschen lebt am Ende nur noch der Kopf!).-
Die schwarzgekleidete Proserpina Carmichael (denken Sie an den Sarg
Karls des Großen!) aus "Die Schule der Atheisten": Übersetzen Sie sich
deren Nachnamen ganz naiv mal ins Deutsche - etwa "Der Deutsche und
sein liebstes Spielzeug" und auch: .....! - eben!
Aber diese Fortsetzung meiner Reise auf der B3 steht im Konjunktiv - an
der großen Kreuzung in Soltau (auch ein "Großer Kain" - "Wo Chauffeur
Kain seinen Fußgänger-Bruder Abel noch heute - ä ...", (und,
allegorisch, ein paarmal schnell die Hand "umlegen"): - (Die nette Oma
Herzog ist hier von einem Motorradfaher - ja - "umgelegt" worden!))
mußte ich "abzwicken" (so heißt das hier bei uns in Bayern) auf die B71
("71er Spiel"!), um nach Rotenburg zu gelangen, wo ich an einer
Beerdigungsfeier teilnehmen wollte. Daß mir vor allem "Schwarze
Spiegel" und "Die Schule der Atheisten" im Hirn herumspukten, lag nicht
nur an "B71" und den erwähnten Sehenswürdigkeiten an der B3, sondern
auch am Zeitpunkt - ausgerechnet am 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs
auf Nagasaki war ich dort unterwegs.
Ich hatte diese Strecke früher schon mal zu befahren, an einem
zumindest jahreszeitlich und meteorologisch besser passenden Tag -
Mitte Februar bei Nieselregen, kalt, grau, diesig - "During the whole
of a dull, dark, and soundless day ....., when the clouds hung
oppressively low in the heavens, I had been passing alone through a
singularly dreary tract of country; and at length found myself, as the
shades of evening drew on, within view of the melancholy...." (E.A.
Poe, The Fall of the House of Usher) - "....: verwelkde Häuser, die
überdrüssich am Wege liegn; (fahl wie Giftpilze; aus graugelbm Ziegln;
(die schon=neu wie verwittert aussehen: Grill'n vergessner ArchiTektn,
vermutlich voll polizeiwidrijer Echos. Einije=davon rauchtn wie
Vulkane)).... Ländliche GefährtWercke, deren Lencker schlafend
dahinfuhren.... (Proserpina freilich gefällt's)." (SdA, Cosmo's
Tagebuch).
Hätt'Ich damals in einem "Cit=15 traction avant" (natürlich schwarz!)
gesessen, ich wär'Mir vorgekommen wie in einem dieser alten
französischen Filme (nicht im Kino!), so etwa wie "Moderato Cantabile"
mit Jeanne Moreau und Jean-Paul Belmondo! Jetzt aber fuhr ich durch
eine grüne Hölle, so strotzte der Mais auf den Feldern und bildete das
Laub der Alleebäume schwarz=grüne Tunnel. Und dann kam auch die von
Radfahrern so gefürchtete Stelle mit "Wind immer schräg von vorn", wo
jetzt - "Moderne Zeiten" - die Wind=Strom erzeugenden Generatoren ihre
Rotor=Flügel pathetisch=beschwörend hoch in die Luft werfen, sodaß man
sie kilometerweit sieht! Wie klein=bescheiden dagegen die einzige
erhaltengebliebene Windmühle an dieser Strecke.
Bei der Einfahrt in die Stadt Rotenburg sehen Sie gleich rechts einen
Friedhof, aber ich mußte zum Friedhof "Lindenstraße" (Nee, nee, nix
Fernsehen, reiner Zufall!), wo der 101jährige Walther Egebrecht
beerdigt werden sollte - jaa, Sie haben richtig gerechnet: geboren im
Joyce=Barnacle-Jahr, aber nicht am Blooms=Day, das war meine Mutter,
wie schon erwähnt, 10 Jahre später!
(:"Und "Ehebrecht" müßten alle Männer als ßweitn Vornam' führn"
entschied Tanndte Heete:... (KAFF auch Mare Crisium, Ehebrecht war der
mit der 8flügeligen Wintmühle und den abgesägten Stuhlbeinen - vom
Atomkrieg "Im Jahrzehnt zwischen 1960 und 70" ist bekanntlich auch die
Rede!)).
Anders als Heinrich Düring ist Walter Eggers, der Ich=Erzähler aus "Das
steinerne Herz" (Sind die Verschreibungen "steineres" - "steinere" auf
den Seiten 258 und 260 des Nachworts von Georg Klein im Suhrkamp-Band
1353 nun irgendwie "Absicht" oder doch nur schlampijer Zufall?),
während des Handlungs-Zeitraums nicht nach Rotenburg gekommen, hat aber
schon ganz zu Anfang seines Aufenthalts in Ahlden an die sich
möglicherweise ergebende Notwendigkeit einer Reise dorthin gedacht:
"Schon stand er da; rot, und innen blaugrau gepolstert: der
Schienenbus, 9 Uhr 56 nach Verden: sind ja scharmante Dinger! (Und über
Verden mußte ich ohnehin, wenn ich mal nach Rotenburg wollte, in'n
Kirchenbüchern nachsehen)." - wird beim Schmökern in den
Staatshandbüchern wieder an dieses Städtchen erinnert: "Im
Tentakeltauwerk der Namen: ich schwenkte meine Zunge; las Schicksale
ab, wie Gedrucktes; Amtmänner starben, Wehber 24.8.1851 in
Rotenburg.... Nekromant Eggers." - und kommt schließlich auf die Fahrt
dorthin noch einmal zurück: "(Ob ich doch erst noch nach Rotenburg
fahre: ob die im Stadtarchiv noch was über Bode haben? Brieflich ist
das immer so eine Sache;....".
(Apropos Suhrkamp-Band 1353: Der Zusatz "... nach Christi" zum
Untertitel sollte meiner Viertels=Bildung nach anders lauten,
einerseits, und andererseits fehlt er bei meinen älteren Ausgaben - watt
denn nu! Und dann dieser schmalzige, geschwollene, heuchlerische
Spruch: "In der Zusammenarbeit mit Suhrkamp wird Schmidt dorthin
gestellt, wohin er gehört: in den Reigen der Klassiker der Moderne."
(Hat er bei Haffmans noch nicht dazugehört? - Klingt wie 'ne
Erziehungsmaßnahme, und "Ringelpietz mit Anfassen" fällt mir
unweigerlich auch noch ein!) - - "Ein widriger Kerl" - so wird Walter
Eggers im scharfsinnigen Nachwort des Georg Klein genannt: Also mich
hat er, der Walter, gleich zu Anfang "zur Identifikation eingeladen"
mit "Und gelassen 120 uff'n Tisch: sie waren's nicht gewöhnt, und
besahen mich in freudiger Ratlosigkeit, das merkte man gleich. Also
gute Leute!" Denn das scheint eine seiner Sorgen gewesen zu sein - dort
auf eine hinterfotzige Gesellschaft zu stoßen, die nicht zu ihm passen
würde. - "Das ist mehr als zynisch, das ist hämisch gegen Line, grausam
gegen den Leser und durch den Lesenden hindurch hartherzig gegen jenen
Eggers, den wir in der Ostzone kennenlernen durften. Das graziöse
Wörtchen "lacrymos", hier ist es niederträchtig verwendet und deshalb
von bizarrer Häßlichkeit." - Walter Eggers und "Niedertracht"? Sehen
andere Leser das auch so?).
Wo wa'n wa? - Ja, - "Lindenstraße" - , hat auch für mich persönlich
Stellenwert: Vom Friedhof ca. 250 Meter stadtauswärts steht das Haus,
in dem meine Eltern die ersten zwei Jahre ihrer Ehe verbrachten und wo
meine älteste Schwester geboren wurde, die kennenzulernen ich keine
Gelegenheit hatte. Sie starb in Kleinkinderalter an Diphterie - ihr
Grab gibt's heute noch neben dem ihrer Mutter (genau, der mit dem
"Blooms=Day"-Geburtstag!), neben dem wiederum sogar das der Großmutter,
der hübschen Putzmacherin Mariechen Wiemert, noch existiert, von 1921
(Napoleon war gerademal 100 Jahre tot!).
Wie schon gesagt, ich selbst hab' ja nicht viel erlebt - aber können
Sie sich die Seelenpein einer 35jährigen Kriegerwitwe vorstellen, die
krank darniederliegt, weiß, daß sie sterben und 4 Kinder im Alter von 7
bis 12 Jahren allein zurücklassen wird?
Also, ich mag Beerdigungen (Hat Arno Schmidt je über eine Beerdigung
geschrieben, sie beschrieben?), vor allem, wenn wie in Rotenburg, alte
Rituale gepflegt werden: Als die Sargträger, alle sechs nahezu gleich
groß, kräftig und knochig, absolut ernstzunehmen und keiner unter 50,
mit schwarzer Pelerine, Zylinder in den weiß=leinen behandschuhten
Händen, sich gemessen und würdevoll gleichzeitig vor'm Sarg verbeugten
und dann ihre vorgesehenen Plätze in der Kapelle einnahmen, hatt'Ich
fast wieder das Gefühl, man müßte Kameras, Mikrophongalgen, Beleuchter
und 'nen Regisseur im Safaristuhl irgendwo entdecken können! "Hierauf
hoben die Lehrlinge den Deckel wieder auf den Sarg, und verschlossen
ihn mit 7 Nägeln... unterdessen hob der Großmeister den eisernen
Hammer, und ließ ihn dreimal fallen, auf das Kreuz von Eisen....". Das
christliche Rahmenwerk (überhaupt das religiöse) denk'Ich mir immer
weg, das ist "neuzeitliche" Tünche auf dem, was eigentlich passiert:
Peilen Sie mal entlang Ihrer Ahnenreihe - welch' überwältigende Fülle
an Beerdigungen! - da sehen Sie, daß von J.Chr. solange noch nicht die
Rede dabei gewesen sein kann!
Zum "Totenschmaus" wurde nach der Beisetzung ins "Stadtidyll" geladen -
so was kann man sich nicht ausdenken! - "Die Pracht des Speisesaals,
worin man sich versammelte, die Menge der Wachslichter, womit er
erleuchtet war, die Kostbarkeit des Tischgeräthes, die Niedlichkeit der
Mahlzeit,...." - , und da kam ich in der Nähe des zuständigen
Beerdigungsunternehmers zu sitzen, ich kenn'ihn von früher und werde
ihn "Den Betreffenden" nennen! Ein bemerkenswert gebildeter Mann mit
vielen Talenten und reich an Erfahrung: - "Na, so an die zehntausend
Beerdigungen werd'Ich gemacht haben", war er zu hören, und daß er sich
langsam aus dem "Geschäft" zurückziehen wolle, um jüngeren Platz zu
machen: Wer weiß mehr vom Leben als so Einer!
Und dann saß nahebei noch der älteste Teilnehmer der Feier, der es sich
trotz seiner 95 Jahre nicht hatte nehmen lassen, von weither
anzureisen, um am Grabe des alten Freundes und Arbeitskollegen stehen
zu können - wie ich trotz des Stimmengewirrs vernehmen konnte, hatten
sie sich 1932 kennengelernt (Goethe war gerademal 100 Jahre tot!).
Einmal glaubte ich im Durcheinandergerede von einer nicht mehr ganz so
jungen Dame gehört zu haben: "Mein Opa war'n Freund von B. Traven - bei
mir gibt's 'ne neue Idee!" - aber da lag wegen des Missingsch, das dort
von einigen gesprochen wurde, wohl 'ne Täuschung vor. Klar und deutlich
hingegen kam vom "Betreffenden": "Die Kirche war da gnadenlos -
Katholiken zahlten doppelte Gebühr!" (Die genossen aber offenbar noch
das Privileg, die Kapelle benutzen zu dürfen, was den "Sekten" verwehrt
war).
Indessen log sich der Alte warm mit Geschichten von "früher" und dem
großen Halloo des ersten Wiedersehens mit dem jetzt Betrauerten nach
dem 2. Weltkrieg, den beide wohl von Anfang bis Ende mitgestalten
durften - "Keine Flucht, keine Vertreibung, keine Bomben, kein Verlust
an Hab und Gut, Familien vollzählig und gesund" - im ländlichen
Niedersachsen war das Schicksal wohl (statistisch gesehen) milder als
z.B. in Hamburg oder in Schlesien!
Später kam von dort ein echter,
Fabelbauender Poet,
Denn es hatten Urgeschlechter
Guten Samen ausgesät.
(Theodor Däubler, Das Nordlicht)
(Was hat Unsereins denn schon erlebt! - Das konnte ich wieder erkennen,
als auf der Heimreise in Thüringen ein alter Herr den kleinen
Dänemark=Aufkleber am Heck unseres Wagens entdeckte und sofort erzählen
mußte: Wie er mit nur notdürftig versorgten schweren Schußwunden an Arm
und Oberkörper im Frühjahr '45 aus dem belagerten Königsberg entkam, zu
Fuß das zugefrorene Haff überquerte und dann mit einem der Schiffe, die
in allen kleinen Häfen auf Flüchtlinge und Verwundete warteten, nach
Dänemark gelangte. Nach einer Odyssee durch Lazarette fuhr er
schließlich für die britische Armee Lastwagen in Schleswig-Holstein,
arbeitete mit beim Bau von Behelfsheimen für Flüchtlinge und kehrte
irgendwann im Jahr 1946 nach Thüringen zu seinen Eltern zurück: -
Glaube jaa niemand, ich sei irgendwie neidisch auf das, was dieser
Mann, Arno Schmidt & Co. und die beiden Alten, haben mitmachen
müssen - nee, wirklich nich!).
"Der Betreffende" (übrigens aus einer Flüchtlingsfamilie) war ebenfalls
bei der Statistik angelangt: "O Nain, so selten gaa'nich, wohl zwischen
30 und 40, die 100 Jahre und mehr waren!" (Ergänze "alt", auch er genoß
sichtlich die merkwürdig angeregte, ja geradezu heitere Atmosphäre
dieser Feier, murmelte einmal allerdings was wie "Erinnern Se mich
nicht an Kinds=Beerdigungen!"), konnte natürlich uns Laien mit seiner
Berufserfahrung leicht verblüffen, so mit den "Körperform=Särgen": -
"...die sind aber viel flacher als bei uns." - - : "Karl schnob
verächtlich: alles "Nasenquetschel"! Erklärte auch den Ausdruck: wenn
ein Gemeindearmer starb, lieferte man den Sarg aus Billigkeitsgründen
grundsätzlich so flach, daß dem betreffenden Toten eben - :aha!" (StH)
"Autorassen: ungefähr so verschieden wie Hunde (und die Nase oft am
Gesäß des Vordermannes; siehste: auch das soeben erschienene:...."
(StH): So war ich beim Verlassen des Parkplatzes an der Lindenstraße,
um zu jenem "Stadtidyll" zu kommen, hinter einem Wagen mit
OHZ-Kennzeichen hergefahren. Am unteren Rand des Kennzeichens war zu
lesen, daß das dazugehörige Fahrzeug bei einem Händler in Lilienthal
gekauft worden war, und da wußte ich, dieser "seltsame Tag" wollte
beschrieben sein! (In Lilienthal hab'Ich 1957 mal die Schulferien
verbracht und später dann sogar kurzzeitig dort gewohnt! (Daß der
Fahrer am Lenkrad jenes OHZ-Autos Meyer heißt und in einem Haus an der
Lindenstraße aufwuchs, gehört in ein anderes Dominospiel).